Gruppendynamik: Wenn Gruppen kippen: Die unterschätzte Macht der Dynamik

Veröffentlicht am 1. Juli 2025 um 16:14

Warum Gruppenzugehörigkeit ein Rettungsanker sein kann – oder ein Pulverfass

Ob Schule, Jugendzentrum, WG-Küche oder TikTok-Gruppe – wo Menschen zusammenkommen, entsteht Dynamik.
Und diese Dynamik kann tragen oder zerstören.
Sie kann Gemeinschaft stiften – oder Gruppenzwang erzeugen.
Gerade bei Jugendlichen sind Gruppen nicht einfach Begleitung. Sie sind Bühne, Sicherheitsnetz, manchmal auch Falle.

Kapitel 1: Gruppendruck ist kein Klischee – sondern realer Mechanismus

Jeder kennt es: Du sitzt in einer Runde. Einer zündet sich was an. Die anderen machen mit. Du willst dazugehören.
„Nein“ sagen ist schwer – besonders, wenn das „Ja“ Anerkennung bringt.

Brown et al. (1986) zeigten bereits, dass Peers in der Jugendphase eine zentrale Sozialisationsinstanz sind – manchmal sogar wichtiger als Eltern.

Die Shell Jugendstudie (2019) bestätigt: Viele Jugendliche definieren sich stark über Gruppen und Zugehörigkeit – auch auf Kosten eigener Werte.

Fazit: Gruppenzugehörigkeit wird oft höher gewichtet als individuelle Gesundheit oder Moral.

Kapitel 2: Warum Drogen in Gruppen eine ganz eigene Logik haben

Alkohol auf Partys, Cannabis im Park, Lachgas auf dem Pausenhof – vieles passiert nicht im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich, gemeinsam, ritualisiert.

Laut ESPAD-Studie (2020) (European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs) steigt das Risiko für regelmäßigen Drogenkonsum deutlich, wenn enge Freunde konsumieren.

Warum?

  • Gruppen geben Rückhalt für riskantes Verhalten

  • Gemeinsames Konsumieren stärkt das "Wir-Gefühl"

  • Wer nicht mitmacht, ist "uncool" oder "draußen"

In der Praxis: Präventionsarbeit muss nicht nur auf Aufklärung, sondern auch auf Gruppendynamik reagieren.

Kapitel 3: Gewalt als Gruppenspiel – warum Mobbing selten alleine passiert

Die Psychologie ist eindeutig:
Gewalt, insbesondere Mobbing, lebt von Mitläufer:innen.
Ein Täter allein kann wenig tun – aber eine schweigende oder feixende Gruppe? Die kann zerstören.

Salmivalli (2010) identifizierte fünf Rollen im Mobbing: Täter, Unterstützer, Zuschauer, Verteidiger, Opfer.
➡ In 80 % der Fälle sind mehr als zwei Personen beteiligt.

Banduras Theorie der "moralischen Disengagements" erklärt, warum Gruppen schlimmes Verhalten rechtfertigen („War doch nur Spaß“, „Der ist selbst schuld“).

Jugendliche in Gruppen verschieben Verantwortung – das ermöglicht Grenzübertritte.

Kapitel 4: Gruppenzwang ≠ Gruppenkraft – was wir daraus lernen müssen

Die gute Nachricht: Gruppen können auch schützen.
Nicht jede Gruppendynamik führt in den Abgrund. Viele führen ins Leben.

Positive Gruppen fördern:

  • Soziale Verantwortung

  • Solidarität

  • Entwicklung von Empathie

  • Gemeinsames Lernen von Konfliktstrategien

Vygotskij (1978) sprach vom „Zone of Proximal Development“ – also dem Bereich, in dem Menschen durch andere über sich hinauswachsen können.

Heißt konkret: In der richtigen Gruppe traut man sich mehr – nicht zum Schlechtesten, sondern zum Besseren.

Kapitel 5: Handlungstipps für pädagogische Arbeit mit Gruppen

 Gruppenstrukturen früh erkennen und benennen
➡ Wer hat Macht? Wer ist unsicher? Wer kippt mit?

 Rollenwechsel ermöglichen
➡ Der Mitläufer von gestern kann der Verteidiger von morgen sein – mit der richtigen Intervention

 Gruppenregeln partizipativ entwickeln
➡ Wenn Jugendliche ihre Regeln selbst mitgestalten, übernehmen sie auch Verantwortung

 Multiplikator:innen stärken
➡ Positive "Influencer" innerhalb der Gruppe erkennen und empowern

 Rituale, die verbinden – ohne Zwang
➡ Gemeinsames Kochen, Sport, Musik als gesunde Gruppenerlebnisse

 Nicht nur auf das „Tun“, sondern auf das „Warum“ achten
➡ Konsum, Gewalt oder Spott entstehen oft aus emotionaler Not oder Identitätssuche

Resümeé: Gruppendynamik ist kein Problem – sie ist eine Realität

Wir müssen Gruppen nicht dämonisieren, sondern verstehen und gestalten.
Denn Gruppen sind mächtig – mal leise, mal laut. Mal destruktiv, mal transformierend.

Die Frage ist:
Wohin bewegt sich die Gruppe – und wer bestimmt die Richtung?

In der innovativen Jugendarbeit heißt das:
➡ Weg von der Individualfokussierung.
➡ Hin zu systemischem Blick auf Beziehungsgeflechte.
➡ Und zu echten, kreativen Alternativen zum Gruppenzwang.

Wissenschaftliche Quellen & Studien

  • Brown, B. B., Clasen, D. R., & Eicher, S. A. (1986). Perceptions of peer pressure, peer conformity dispositions, and self-reported behavior among adolescents. Developmental Psychology

  • Shell Jugendstudie (2019).

  • ESPAD Report (2020). European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs

  • Salmivalli, C. (2010). Bullying and the peer group: A review. Aggression and Violent Behavior

  • Bandura, A. (1999). Moral Disengagement in the Perpetration of Inhumanities. Personality and Social Psychology Review

  • Vygotsky, L. S. (1978). Mind in Society: The Development of Higher Psychological Processes

 

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Kategorie: Prävention & Empowerment
von: Yildz Fluksik, Vibe X Foundry
Lesezeit: ca. 5 Minuten

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