Wieviel Meinung ist noch erlaubt in Deutschland?

Veröffentlicht am 1. Juli 2025 um 19:00

Zwischen Toleranz, Cancel Culture und dem schmalen Grat der freien Rede

"Ich kann deine Meinung nicht teilen – aber ich werde alles dafür tun, dass du sie sagen darfst."
Dieses berühmte Zitat, das oft fälschlich Voltaire zugeschrieben wird, galt lange als Grundpfeiler der liberalen Demokratie. Doch in Deutschland des 21. Jahrhunderts stellt sich zunehmend die Frage: Gilt dieses Prinzip noch? Und wenn ja – für wen?

Die Theorie: Meinungsfreiheit als Grundrecht

Artikel 5 des Grundgesetzes ist eindeutig:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“

Das klingt stark, klar, unerschütterlich. Doch wie bei vielen Rechten endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo sie mit anderen Rechten kollidiert – oder mit der politischen Empfindlichkeit des Zeitgeistes. Meinungsfreiheit ist nicht grenzenlos, das ist bekannt und akzeptiert. Volksverhetzung, Beleidigung, Verleumdung – das sind klare rechtliche Schranken.

Doch heute erleben wir eine Entwicklung, in der gesellschaftliche Ächtung oft schneller zuschlägt als das Gesetz. Und so entsteht ein Klima, das viele als vorauseilende Selbstzensur empfinden.

Die Praxis: Sag bloß nichts Falsches

Wer heute zu heikle Fragen stellt – etwa zur Migrationspolitik, zu Gender-Themen, zum Ukraine-Krieg oder zur Corona-Politik – riskiert schnell, in eine Ecke gestellt zu werden:
rechts, schwurblerisch, unsolidarisch, menschenfeindlich.

  • Ein Philosoph wie Richard David Precht gerät ins mediale Kreuzfeuer, weil er kritisiert, dass kritische Stimmen zur Corona-Politik mundtot gemacht wurden.

  • Ein Kabarettist wie Dieter Nuhr wird plötzlich von Teilen der Kulturszene als „rechts offen“ geframet, weil er Witze über „moralische Empörung“ macht.

  • Wissenschaftler wie Prof. Dr. Stefan Homburg oder Prof. Bhakdi, die während der Pandemie abweichende Positionen vertraten, wurden öffentlich diffamiert – nicht selten ohne inhaltliche Auseinandersetzung.

Die Konsequenz? Viele halten den Mund. In einer Allensbach-Umfrage von 2021 sagten 78 % der Befragten, man müsse „heutzutage sehr aufpassen, was man sagt“ – so stark war dieser Wert zuletzt 1953.

Zwischen Cancel Culture und Empörungskultur

Wir leben in einer Zeit, in der moralische Empörung als politisches Kapital dient. Wer falsch spricht, verliert Jobs, Reichweite oder sozialen Status – nicht, weil er gegen das Gesetz verstoßen hätte, sondern weil er gegen den Mainstream denkt. Plattformen wie Twitter/X oder Instagram werden zur digitalen Inquisition.

Natürlich ist Kritik erlaubt – sie ist sogar notwendig in einer pluralistischen Gesellschaft. Aber die Grenze zwischen Kritik und sozialer Ächtung verwischt zunehmend. Wer gecancelt wird, wird selten widerlegt – sondern schlicht aus der Debatte entfernt.

„Was wir erleben, ist eine neue Form der Intoleranz – nicht durch den Staat, sondern durch die Gesellschaft selbst.“
Prof. Norbert Bolz, Medienwissenschaftler

Die neue Norm: Meinung ja, aber bitte im Rahmen

Kritik an der Regierung ist erlaubt – solange sie nicht „populistisch“ klingt. Kritik an der Einwanderungspolitik ist möglich – solange man nicht „AfD-nah“ wirkt. Kritik am Krieg? Lieber vorsichtig, sonst ist man „Putinversteher“.

Es hat sich eine neue Leitmoral etabliert: progressiv, antirassistisch, solidarisch – an sich alles noble Werte. Aber wehe, man stellt einzelne Punkte infrage. Dann wird aus dem Meinungsrecht schnell eine Gesinnungsprüfung.

Wo bleibt der Widerspruchsgeist?

Deutschland war einmal stolz auf seine Streitkultur. Auf seine intellektuellen Debatten, auf das Prinzip, Thesen öffentlich zu prüfen statt sie zu unterdrücken. Doch heute scheinen viele Debattenräume nur noch für Menschen offen, die innerhalb eines eng gesteckten Meinungskorridors argumentieren.

Die Medien tragen ihren Teil dazu bei: Immer seltener werden konträre Positionen im Diskurs zugelassen. Talkshows ähneln Filterblasen mit wechselndem Personal. Algorithmen und Redaktionen bevorzugen die lautesten, nicht die klügsten Stimmen.

Resümeé: Freiheit ist kein Konsens – sie beginnt beim Widerspruch

Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jede Meinung gut ist. Aber sie bedeutet, dass jede Meinung gesagt werden darf, solange sie nicht gegen das Gesetz verstößt. Eine Gesellschaft, die nur die „richtige“ Meinung zulässt, verlernt zu denken.

Wenn Demokratie mehr sein soll als das Durchregieren einer Mehrheitsmeinung, dann brauchen wir eines: Mut zur Meinungsvielfalt – und die Bereitschaft, auch unbequeme Stimmen auszuhalten.

 

Nicht alles, was provoziert, ist gefährlich. Und nicht alles, was beruhigt, ist richtig.

 

Wissenschaftliche Quellen & Hinweise:

 

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Kategorie: Bildung & Gesellschaft
von: Yildz Fluksik, Vibe X Foundry
Lesezeit: ca. 5 - 6 Minuten

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