Jugendgruppen: Anführer, Mitläufer und Außenseiter – Eine Reise durch Gruppendynamik, Identität und Zugehörigkeit

Veröffentlicht am 14. Juli 2025 um 11:55

Gemeinsam stark – oder ganz allein? Von Cliquen, Codes und Konflikten: Warum wir alle dazugehören wollen – und was passiert, wenn das nicht klappt.

Zwischen Schulhof und Skateplatz

Man stelle sich einen ganz normalen Schulhof vor. In einer Ecke steht eine laut lachende Gruppe. In ihrer Mitte: der Anführer oder die Anführerin. Daneben einige Jugendliche, die nicken, zustimmen oder sich einfach anpassen – die Mitläufer. Und dann gibt es da noch die Person, die allein steht, sich abwendet oder gar gemieden wird – der Außenseiter.

Was auf den ersten Blick nach einem alltäglichen Bild aussieht, ist in Wahrheit ein hochkomplexes soziales Gefüge. Gruppenzugehörigkeit, Status, Macht und Ausgrenzung sind hier zentrale Themen. Doch was genau passiert da eigentlich? Und wie können wir – als Jugendliche, Eltern, Lehrkräfte oder Fachkräfte – diese Prozesse besser verstehen und begleiten?

Was sind Jugendgruppen eigentlich?

Jugendgruppen bilden sich meist spontan, basierend auf gemeinsamen Interessen, Werten oder einfach geographischer Nähe. In ihnen finden Jugendliche Halt, Orientierung und die Möglichkeit zur Selbstfindung.

Nach Erik Erikson (1968) durchlaufen Jugendliche in dieser Phase die psychosoziale Entwicklungsaufgabe der „Identitätsfindung versus Rollendiffusion“. Gruppen helfen ihnen dabei, sich auszuprobieren – sie geben Zugehörigkeit, spiegeln das Selbstbild und liefern „soziale Rollen“, in denen Jugendliche sich testen können.

Die drei Hauptrollen: Anführer, Mitläufer, Außenseiter

1. Der Anführer / Die Anführerin:

Diese Person genießt meist hohes Ansehen, bestimmt Normen und Regeln innerhalb der Gruppe. Das kann positiv sein (etwa in einer engagierten Jugendgruppe oder Sportmannschaft) oder negativ – etwa bei Mobbing oder Gruppenzwang.

Psychologisch: Oft verfügen Anführer*innen über ein gutes Gespür für soziale Dynamik, eine starke Ausstrahlung oder durchsetzungsfähige Kommunikation. Nach Kurt Lewins Gruppendynamik-Modell (Lewin, 1947) prägen sie den Führungsstil der Gruppe – autoritär, demokratisch oder laissez-faire.

2. Die Mitläufer:

Sie passen sich meist an, um nicht aufzufallen oder ausgeschlossen zu werden. Ihre größte Angst ist oft der Verlust von Zugehörigkeit. Sie verstärken mit ihrem Verhalten häufig unbewusst Normen oder sogar problematische Muster.

Psychologisch: In der Sozialpsychologie spricht man hier vom Konformitätsdruck (Asch, 1951). Menschen passen sich selbst dann an Gruppenmeinungen an, wenn sie wissen, dass diese objektiv falsch sind – nur um dazuzugehören.

3. Der Außenseiter / Die Außenseiterin:

Außenseiter können freiwillig oder unfreiwillig außerhalb der Gruppe stehen. Manche wollen einfach ihr eigenes Ding machen. Andere wurden ausgegrenzt – wegen Aussehen, Verhalten oder Herkunft.

Psychologisch: Ausgrenzung kann das Selbstwertgefühl massiv beeinträchtigen. Studien zeigen, dass soziale Ablehnung ähnliche Hirnareale aktiviert wie körperlicher Schmerz (Eisenberger et al., 2003).

Warum entstehen diese Rollen überhaupt?

  1. Identitätsbildung: Jugendliche suchen nach Orientierung. Gruppen liefern klare Rollenmodelle – auch wenn sie problematisch sind.

  2. Gruppenregeln und Hierarchie: Jede Gruppe entwickelt unausgesprochene Regeln. Wer diese bricht, riskiert Ausschluss.

  3. Soziale Sicherheit: Zugehörigkeit zu einer Gruppe bedeutet in vielen Fällen Sicherheit – emotional wie sozial.

  4. Abgrenzung gegenüber „dem Anderen“: Außenstehende dienen oft der Abgrenzung – zur Stärkung des „Wir“-Gefühls.

Tipps für Jugendliche: Wie du die Gruppendynamik erkennst – und dich nicht verlierst

Beobachte bewusst: Wer bestimmt in deiner Gruppe, was „cool“ ist? Wer wird oft ignoriert? Erkenne, wie Gruppenmechanismen funktionieren.

Trau dich, Fragen zu stellen: Warum machen wir das so? Ist das wirklich fair? Mit Fragen bringst du oft mehr zum Nachdenken als mit Kritik.

Bleib dir treu: Konformität ist normal – aber nicht um jeden Preis. Es ist okay, anders zu denken oder Nein zu sagen.

Sei offen für andere: Auch Außenseiter haben oft spannende Geschichten. Gib ihnen die Chance, Teil deiner Gruppe zu sein.

Tipps für Erwachsene: Wie Sie Jugendlichen helfen können, ohne zu bevormunden

Zuhören statt urteilen: Jugendliche brauchen Raum, um über Gruppenkonflikte zu sprechen, ohne bewertet zu werden.

Wissen vermitteln: Erklären Sie, wie Gruppendruck funktioniert. Verwenden Sie anschauliche Beispiele oder Filme (z. B. „Die Welle“, „Tote Mädchen lügen nicht“).

Fördern Sie kritisches Denken: Ermutigen Sie Jugendliche, Normen zu hinterfragen – ohne gleich „gegen alles“ zu sein.

Rollenvielfalt zeigen: Nicht jeder muss ein Anführer sein. Auch kreative, ruhige oder empathische Rollen sind wichtig und wertvoll.

Gruppendynamik ist kein Schicksal – sondern ein soziales Spiel mit Regeln

Jugendgruppen sind wie soziale Labore: Sie helfen jungen Menschen zu wachsen, Rollen auszuprobieren und zu erkennen, wer sie wirklich sind. Doch damit niemand auf der Strecke bleibt, braucht es Verständnis, Reflexion – und manchmal ein bisschen Mut.

Denn in einer Gruppe Platz zu finden, heißt nicht, sich selbst aufzugeben. Und manchmal ist der, der am Rand steht, nicht der Schwächste – sondern der, der sich selbst treu geblieben ist.

Quellen & weiterführende Literatur:

  • Asch, S. E. (1951). Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgments.

  • Eisenberger, N. I., Lieberman, M. D., & Williams, K. D. (2003). Does rejection hurt? An fMRI study of social exclusion. Science, 302(5643), 290-292.

  • Erikson, E. H. (1968). Identity: Youth and Crisis.

  • Lewin, K. (1947). Frontiers in group dynamics.

 

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Kategorie: Jugendbildung & Empowerment
von: Yildz Fluksik, Vibe X Foundry Initiative für kreative Jugendbildung & Empowerment
Lesezeit: ca. 6 Minuten

 

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